Nur geduldet

Nur geduldet

Fotografie Stefanie Zofia Schulz
Text Felix Werdermann

Ein Drittel der Bewohner in deutschen Flüchtlingsheimen sind nur geduldet. Sie haben kein Asyl, können aber aus bestimmten Gründen nicht abgeschoben werden, das kann sich aber jeden Tag, jede Nacht ändern
Tiana und Sania, 12 und 13, Romnja aus Serbien. Deutschland betrachten sie als ihre neue Heimat

Sania will so sein wie die anderen. Die 13-Jährige ist mit ihrer Familie aus Serbien geflohen und lebt jetzt in Deutschland. Sie kniet auf dem Teppich, legt ihren Kopf auf ein Tuch am Boden und lässt ihre langen, krausen Haare von ihrer Schwester mit einem Bügeleisen glätten. Sania will aussehen wie ihre Klassenkameradinnen, sie will sich anpassen. Doch das ist nicht so leicht. Sania lebt in einer ganz anderen Welt. Zusammen mit ihren Eltern und ihren vier Geschwistern wohnt sie in einem Flüchtlingsheim, sie kann jederzeit abgeschoben werden.

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Die Unterkunft liegt am Rand von Lebach, einer kleinen Stadt mit 20 000 Einwohnern, mitten im Saarland. Mehr als 1 000 Menschen leben in der Landesaufnahmestelle, es ist eine der größten in Deutschland. Die Bewohner nennen die Unterkunft bloß »Lager«. Manche Asylbewerber bleiben hier nur wenige Tage, erhalten dann Asyl und ziehen in eine andere Stadt. Doch manche Flüchtlinge warten lange auf das endgültige Ergebnis ihres Asylantrags, leben viele Jahre in Lebach.

Ein zehnjähriger afghanischer Junge. Seine Familie ist auseinandergerissen: Während der Flucht wurde der Vater in Griechenland festgenommen
Die Bewohner der saarländischen Aufnahmestelle in Lebach nennen die Unterkunft bloß „Lager“

Viele Menschen in Deutschland kennen solche Lager nicht, wissen nicht, wie die Flüchtlinge leben. Die Fotografin Stefanie Zofia Schulz hat sich daher auf den Weg gemacht und zehn Mal innerhalb eines Jahres mit den Bewohnern des saarländischen Aufnahmelagers über längere Zeiträume gelebt, manchmal bis zu zehn Tage lang. Auch Sania hat sie dort getroffen. Ihre Eltern wurden in Serbien Opfer körperlicher Gewalt, weil der Vater sich weigerte, einen bestimmten Politiker zu wählen. Jetzt hinkt er, hat ein Auge verloren und leidet an Apnoe, ohne Atemgerät kann er im Schlaf ersticken. Die Kinder sprechen fließend deutsch, die zwei jüngsten Mädchen wurden in Deutschland geboren. Trotzdem sind sie von einer Abschiebung bedroht. Inzwischen lebt die Familie zwar in einer anderen Stadt, hat aber immer noch keine Aufenthaltsgenehmigung. Im Lager in Lebach hören die Flüchtlinge alle paar Tage, wer wieder abgeschoben wurde. Stefanie Zofia Schulz beschreibt die Atmosphäre als bedrückend. »Die Angst liegt in der Luft. Sie ist richtig greifbar, sobald man länger als einen Tag dort ist.« Ihre Bilder zeigen die Menschen, wie sie warten und hoffen. Wie sie, teilweise traumatisiert von der Flucht, in eine ungewisse Zukunft blicken.

collections Slideshow 7 Bilder

Die Romni Sania lässt sich die Haare glätten

Heute steht das Thema Flucht und Migration weit oben auf der politischen Tagesordnung. Durch Kriege, Armut und Verfolgung in die Flucht geschlagen, suchen Millionen von Menschen aus Afrika, dem Nahen und Mittleren Osten Schutz in Europa. Seit Jahren steigt die Zahl der Asylbewerber in Deutschland, 2014 waren es mehr als 170 000 Erstanträge. Damit liegt die Zahl so hoch wie seit Beginn der 90er-Jahre nicht mehr. Die meisten Flüchtlinge kommen aus Syrien, Serbien oder Eritrea. Die meisten Menschen haben jedoch keine Chance, hier Asyl zu erhalten.

»Die Unterkunft ist wie ein kleines Ghetto, ein sehr komplexes System«

Das liegt unter anderem an der sogenannten Dublin-Regelung. In der Europäischen Union ist für den Asylantrag immer dasjenige Land zuständig, in dem ein Flüchtling als Erstes registriert wurde. Häufig sind das die Länder im Süden: Bulgarien, Griechenland, Italien oder Spanien. Wenn ein Flüchtling dort amtlich bekannt ist und anschließend hier in Deutschland um Asyl bittet, wird sein Antrag gar nicht erst inhaltlich geprüft. Stattdessen wird er in das zuständige EU-Land gebracht – falls das nicht von einem deutschen oder europäischen Gericht gestoppt wird. In den Südländern haben die Flüchtlinge nämlich häufig keine Chance auf ein faires Asylverfahren. Diese Länder fühlen sich durch die vielen Migranten überlastet, in Italien werden Asylbewerber oftmals auf die Straße gesetzt, in Griechenland in überfüllte Lager gesteckt.

Lina, zwölf Jahre alt, aus Afghanistan. Bei militärischen Auseinandersetzungen an der türkischen Grenze wurde ihre ältere Schwester getötet
Egson aus dem Kosovo beim Klettern

Gleichzeitig wird die Festung Europa weiter ausgebaut. Meterhohe Zäune, Hightech-Überwachung und Patrouillen von Polizei und Mitarbeitern der europäischen Grenzagentur Frontex. Über den Landweg kommt man kaum nach Europa. Kein Wunder, dass viele die Fahrt über das Mittelmeer antreten. Eine zivile Seenotrettung wird nicht eingerichtet, Frontex bekommt stattdessen mehr Geld, und Fluchtboote sollen durch Militär zerstört werden. Aber auch nach innen wird den Migranten gezeigt, dass sie hier eigentlich unerwünscht sind.

Kinder aus dem Kosovo bei ihrem Lieblingsspiel: »Polizei!«
Angela, die vierjährige Schwester von Tiana und Sania aus Serbien. Die Kleine am Kinderbett wurde in Deutschland geboren

Die Bewohner des Lagers in Lebach erhalten beispielsweise 137 Euro Bargeld im Monat, sie bekommen Kleidung gestellt, und zwei Mal pro Woche gibt es Lebensmittelpakete. Arbeiten dürfen sie nur in wenigen Ausnahmefällen, und dann oft auch nur, wenn kein EU-Bürger den Job machen will. Die Kinder und Jugendlichen gehen zwar zur Schule, haben aber meist nicht genug Geld, um mit ihren Freunden ins Kino oder in einen Club zu gehen. Sie bleiben Außenseiter.

Ein 13-jähriges Mädchen aus Mazedonien hat Lagerkoller
Die Kinder sprechen fließend deutsch, trotzdem sind sie von einer Abschiebung bedroht

»Am schlimmsten ist aber die ständige Unsicherheit«

Ungefähr ein Drittel der Bewohner in den Flüchtlingsheimen sind in Deutschland nur geduldet. Sie haben kein Asyl, können aber aus bestimmten Gründen derzeit nicht abgeschoben werden, das kann sich aber jeden Tag, jede Nacht ändern. Trotzdem leben sie jahrelang in Deutschland. Rima zum Beispiel ist sieben Jahre alt, wurde hier geboren, kennt kein anderes Land. Stefanie Schulz hat das Mädchen in Lebach getroffen, zusammen mit ihrem Bruder und ihren Eltern, die als armenische Christen aus dem Irak geflohen sind. Alle drei Monate wurde die Duldung verlängert, die Angst vor der Abschiebung blieb. Zehn Jahre lang hat die Familie im Lager gelebt, erst vor kurzem durfte die Familie ausziehen, Rima hat aber immer noch keine Aufenthaltserlaubnis.

Seit ihrer Geburt lebte die siebenjährige Rima aus dem Irak in der saarländischen Aufnahmestelle für Asylbewerber. Erst jetzt, nach zehn Jahren, konnte ihre Familie in eine eigene Wohnung umziehen und muss keine Abschiebung mehr befürchten
Ein achtjähriger Rom rasiert das Ferkel, das zum orthodoxen Osterfest bestellt worden ist. Gleich wird es draußen im Hof gegrillt

»Die Geduldeten sind am längsten da und geben dem Lager ein Gesicht«, sagt Stefanie Zofia Schulz. Die Unterkunft sei »wie ein kleines Ghetto«, ein sehr komplexes System. Flüchtlinge aus dem gleichen Land fänden sich häufig in einem Häuserblock zusammen. Sofort wird registriert, wer auf der Straße ist. Schulz’ fotografische Arbeit ist mittlerweile abgeschlossen; einige der Bewohner leben noch immer dort, andere wurden abgeschoben oder wohnen jetzt woanders. Das Aufnahmelager in Lebach aber gibt es noch immer. Und damit die Angst, die Hoffnung und das Warten. stop

Stefanie Zofia Schulz wurde 1987 in Nagold, Baden-Württemberg, geboren und studierte Fotografie an der Berliner Ostkreuzschule. Mit ihrer Arbeit Duldung gewann sie den ersten Preis des Studierendenwettbewerbs des Bundesinnenministeriums
www.schulzstefanie.de

Felix Werdermann, geboren 1988 in Münster, hat Politikwissenschaft und Mathematik studiert. Nach einem Volontariat bei der dapd wurde er Politikredakteur beim Freitag in Berlin

Diese Story erschien erstmals in emerge 01 – Migration

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Format: 23,5 x 31cm
Seiten: 120
Abbildungen: 107
Sprache: Deutsch
Auflage: 1000
Erscheinungsdatum: 2015
Druckverfahren: Offset-Druck
Bindung: Fadenbindung
Papier: Luxoart Samt 135g/m²
ISSN: 2364-6713
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