Axel Javier Sulzbacher

Our Strength

Eine Clique aus korrupten Politiker:innen und Polizei regiert Mexiko. Seitdem eine Kleinstadt Kriminelle verjagte und sich selbst organisiert, ist das Leben wieder sicher.

Fotografie Axel Javier Sulzbacher

Text Isolde Ruhdorfer

Als Serafín Sánchez den Mörder seines Sohnes verschonte, rettete er ein ganzes Dorf.

Sánchez lebt in Cherán, im Südwesten Mexikos. Es ist der 15. April 2011 und Cherán erlebt eine Revolution. Der Bundesstaat Michoacán wird von einer Clique aus Drogenbaronen und korrupten Politiker:innen beherrscht. Sie entführen Menschen, erpressen Lösegeld, sie geben Morde in Auftrag. Im April haben die Bewohner:innen Cheráns genug. Sie wollen die Mafia vertreiben.

Während der Kämpfe schießt ein Mafioso Eugenio, Serafín Sánchez‘ Sohn, in den Kopf. Die Dorfbewohner:innen fassen den Täter und binden ihn kopfüber an einen Baum. Jemand drückt Serafín Sánchez eine Pistole in die Hand, er könnte sich jetzt für das Verbrechen rächen. Doch er entscheidet sich dafür, den Mafioso zu verschonen.

„Dieser Akt der Vergebung hat das Dorf gerettet“, sagt Axel Javier Sulzbacher. In diesem Moment wird klar: Das wird keine blutige Revolution, sondern der Übergang in ein friedliches Leben. Sulzbacher hat Cherán zwei Mal für mehrere Monate besucht. Serafín Sánchez hat ihm diese Geschichte erzählt. Sánchez‘ Sohn, von allen tot geglaubt, überlebte den Kopfschuss knapp.

Heute ist Cherán berühmt. Denn das Dorf hat es tatsächlich geschafft, Kriminalität und Korruption zu verbannen. Seit neun Jahren organisiert sich Cherán selbst – mit einem basisdemokratischen System, das auf indigenen Traditionen basiert.

Organisierte Kriminalität ist bis heute ein großes Problem in vielen Teilen Mexikos. Meistens sind Politiker:innen in die Kriminalität verstrickt. Auch die Bewohner:innen von Cherán litten unter Erpressungen, Morden, Gewalt.

Jeden Tag rollten Pick-ups durch das Dorf, beladen mit den Pinien, die auf den umliegenden Hügeln wachsen. Die Mafia verkaufte das Holz und baute auf den gerodeten Flächen Avocados an. 20.000 Hektar Wald gingen so verloren.

Die Menschen in Cherán fühlten sich gedemütigt und hilflos. Am Morgen des 15. April 2011 versammelt sich schließlich eine Gruppe von Frauen und Jugendlichen. Sie mobilisieren die Nachbarschaft und vertreiben alle Mafiosi, Politiker:innen und Polizist:innen. Mindestens 20 Dorfbewohner:innen sterben bei den Kämpfen, sagt Sulzbacher. Offizielle Zahlen gibt es nicht.

Die mexikanische Verfassung erlaubt es indigenen Gemeinden, sich selbst zu verwalten und auch selbst für ihre Sicherheit zu sorgen. Die Menschen in Cherán gehören zur indigenen Gruppe der Purépecha. Sie errichteten ein neues politisches System.

Parteien sind in Cherán verboten. Stattdessen regiert ein Ältestenrat, der aus zwölf Personen besteht und alle drei Jahre neu gewählt wird. Die Dorfbewohner:innen versammeln sich regelmäßig um sogenannte „Fogatas“, Lagerfeuer, diskutieren Probleme und ernennen Polizist:innen.

Heute hat Cherán eine der niedrigsten Kriminalitätsraten in Mexiko. „Die ganze Region scheint so verloren“, sagt Sulzbacher. „Aber dieses Dorf ist ein Lichtblick.“

Doch die Mafia in den umliegenden Dörfern wartet nur darauf, Cherán zurückzuerobern. Was die Menschen in diesem Dorf beschützt, ist ihre Gemeinschaft.

Axel Javier Sulzbacher, geboren 1992, studiert Fotojournalismus und Dokumentarfotografie in Hannover. Er arbeitet freischaffend als Fotograf. Seine Mutter kommt aus Uruapan, ungefähr eine Stunde von Cherán entfernt. Die Gegend ist ihm so vertraut wie seine Heimat Hannover.

www.axeljaviersulzbacher.com