Marcel Maffei
Living on the Line of Fire
Im November 2015 reiste Marcel Maffei im Donbas durch umkämpfte Siedlungen, geteilte Städte und die vielfach brachliegende Kultur- und Industrielandschaft. Seine Fotografien ermöglichen Einblicke in obskure Landschaften, die Atmosphäre und Stimmung in der Ostukraine. Sie beleuchten den Langzeitkonflikt aus einer anderen Perspektive, erzählen von den Lebensbedingungen derjenigen, die nicht aus dem Gebiet geflohen sind – entweder, weil sie nicht konnten, oder weil sie nicht wollen.
Aufgrund seines großen Kohlevorkommens war der Donbas, oder Donezbecken (Donezkyj basejn), seit mehreren Jahrhunderten eine wichtige Bergbau- und Industrieregion im Grenzgebiet zwischen der Ostukraine und Westrussland. Im Anschluss an die Proteste des Euromaidan kam es im Frühjahr 2014 zum prorussischen Separatismus. Dieser mündete in die Annexion der Krim und den Ausbruch militärischer Auseinandersetzungen mit dem ukrainischen Militär im Donbas. Seitdem herrschen dort bürgerkriegsartige Zustände. Die Separatisten haben die Volksrepubliken Donezk und Luhansk ausgerufen und kontrollieren das Gebiet mit Russlands Unterstützung. Etliche Waffenruhen scheiterten, die ohnehin angeschlagene Industrie und Infrastruktur ist fast zum Erliegen gekommen.
In letzter Zeit ist die Ukraine weitestgehend aus den Nachrichten verschwunden, obwohl die Konfrontation zwischen Regierungstruppen und prorussischen Separatisten nach wie vor andauert. Der jahrelange Konflikt im Donbas hat seine Spuren hinterlassen in Mensch und Natur und ist gleichzeitig zum Alltag geworden. Dass es sich um ein Kriegsgebiet handelt, lässt sich daher teilweise erst auf den zweiten Blick erkennen, macht das Leben der Bewohner in der sogenannten Grey Zone aber nicht weniger gefährlich. Doch warum verlassen die Menschen den Donbas nicht?
Es ist eine Mischung aus Perspektivlosigkeit in den Städten und einer Verbundenheit mit der eigenen Herkunft. Viele haben es probiert, sind aber nach kurzer Zeit von Dnipro oder Kiew in die Region zurückgekehrt. Sie sind verwurzelt mit den Orten, an denen sie aufgewachsen sind. Viele Menschen im Donbas fürchten, ihre Existenz und Identität zu verlieren, wenn sie alles zurücklassen.
Also bleiben sie, auch wenn sie damit ihr Leben riskieren.
Marcel Maffei (*1987) absolviert nach seinem Bachelor- mittlerweile das Masterstudium der Fotografie an der Fachhochschule Dortmund. Davor hat er bereits die internationale Klasse in Fotojournalismus an der Danish School of Media and Journalism in Aarhus abgeschlossen. Mit seiner Story „Living on the Line of Fire“ gewann er den College Photographer of the Year Preis für die beste internationale Fotostory 2016 und wurde Finalist des Canon Profifoto Awards 2016, im Jahr darauf erhielt er damit den Silberpreis beim IPA in der Kategorie Conflict Photography. Marcel hat seine Fotos in gedruckter sowie digitaler Form in zahlreichen Magazinen und Zeitungen veröffentlicht, darunter Zeit, Vice, taz, CNN USA und Tagesspiegel. Seit 2010 konnte er seine Werke in zahlreichen internationalen Galerien und auf Festivals ausstellen. Marcel lebt und arbeitet derzeit im Wechsel zwischen Dortmund und Berlin.