Anne Ackermann
Behind Veils and Walls
Nach mehr als zwei Jahrzehnten voller Chaos, Konflikt und Gewalt leben mittlerweile über 1,5 Millionen Somalier auf der ganzen Welt verteilt, die meisten von ihnen sind in anderen afrikanischen Ländern gestrandet. Als funktionierender Staat und sichere Heimat hat ihr Herkunftsland für diese Menschen aufgehört zu existieren. Vielmehr hat sich eine eigene somalische Kultur innerhalb der weltweiten Diaspora entwickelt. Für die Geflüchteten, die den Kontinent verlassen wollen und auf ein besseres Leben in den USA oder Europa hoffen, ist alles vergänglich.
Am Rande der geschäftigen und pulsierenden Innenstadt von Kampala liegt Kisenyi. Die kleine Ansammlung von rau wirkenden, staubigen Straßen mit ihren kleinen Geschäften und fliegenden Händlern ist die Heimat tausender Somalier in Uganda.
Willkommen in „Little Mogadishu“.
Für die portraitierten jungen Frauen wirkt das Leben im Exil eher wie eine Parallelwelt. Rund um die Uhr stehen sie mit ihren Familien, Freunden und Bekanntschaften auf der ganzen Welt in Kontakt.
Über Telefon, Internet und soziale Netzwerke, mithilfe von rotierenden Hochzeitsvideos und Klatsch halten sie ihre Beziehungen viel eher aufrecht, als durch ihr Alltagsleben vor Ort.
Im Alltag von Kisenyi treffen die Schatten der Vergangenheit in Somalia auf die Hoffnungen auf ein besseres Leben
Sie leben zwar in Uganda, könnten aber genauso gut anderswo auf der Welt sein. Die Frauen zelebrieren Freundschaft, weibliche Solidarität und bauen einander ein neues Zuhause fernab der eigentlichen Heimat auf. Oft geschieht dies in Abwesenheit von Männern, die entweder gestorben, geflohen oder in Somalia geblieben sind. Wie alle jungen Frauen in ihrem Alter träumen sie von der romantischen Liebe. Bieten sich aber ältere Kandidaten mit geregeltem Einkommen an, geben viele dennoch nach. Männer mit Aufenthaltstiteln außerhalb des afrikanischen Kontinents sind besonders beliebt.
Das Exil bedeutet aber auch Härte, Stigma und alltägliche Anfeindungen. Es ist ein Gefühl im Jetzt nicht zugehörig zu sein und gleichzeitig von der Vergangenheit verfolgt zu werden.
Obwohl sie sich an alles klammern, was sie an Somalia erinnert, typische Lebensmittel, Kleidung und Traditionen etwa, hat die Exilerfahrung für die jungen Frauen insgesamt etwas Befreiendes. Durch die gegenwärtigen Umstände rücken strenge kulturelle Autoritäten eher in den Hintergrund. Auch überholte Praktiken wie die Genitalverstümmelung (FGM – Female Genital Mutilation) sind schwieriger durchzuführen in der fremden Umgebung. Das Leben fühlt sich insgesamt freier an.
Irgendwo, in dieser Parallelwelt aus somalischem Leben in Uganda und der Hoffnung auf eine bessere Zukunft an einem weit entfernten Ort, entfaltet sich das eigentliche Leben.
Anne Ackermann (*1980) hat Visuelle Kommunikation und Fotojournalismus in Hamburg, Buenos Aires und Aarhus studiert. Ihre Arbeiten wurden mit wichtigen Stipendien gefördert und renommierten Preisen ausgezeichnet, sie war beispielsweise auf der Shortlist des Hansel Mieth Preis 2015. Neben zahlreichen Veröffentlichungen in Magazinen und Zeitungen wurden ihre Projekte in internationalen Ausstellungen und Galerien gezeigt. „Behind Veils and Walls“ hat sie 2016 im Rahmen eines Stipendiums auf dem Photoreporter Festival in Saint-Brieuc, Frankreich exponiert. Anne lebt in Deutschland und arbeitet weltweit.