Tim Brederecke & Maximilian Mann
Pankisi
Fotos Tim Brederecke und Maximilian Mann
Text Noura Mahdhaoui
Der Großteil der BewohnerInnen des Pankisi-Tals gehört zur ethnischen Minderheit muslimischer Kisten. Im 18. und 19. Jahrhundert flüchteten diese aus ihrer Heimat Tschetschenien vor Blutrache, religiöser Verfolgung oder wirtschaftlicher Not und ließen sich in der Region nieder. Ihre Einkommensquellen sicherten sie vor allem durch Viehwirtschaft und Kunsthandwerk.
Doch die Erlaubnis zur Ansiedlung im christlichen Georgien war damals gebunden an einen Übertritt der EinwanderInnen zum Christentum und erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts konvertierte eine Mehrzahl von ihnen zurück zum sunnitischen Islam. Zurück in ihre Heimat Tschetschenien dürfen sie noch immer nicht, doch ein Gefühl der Zugehörigkeit in Georgien blieb für viele von ihnen bis heute aus.
Die muslimischen KistInnen im Pankisi-Tal bezeichnen sich selber als praktizierende SufistInnen. Der Sufismus gilt als spirituelle Strömung im Islam, deren AnhängerInnen zu Lebzeiten des Propheten Mohammed im 7. Jahrhundert als einzelne AsketInnen überliefert sind. Heute werden sie vorrangig mit einer mystischen Auslegung des Islam in Verbindung gebracht. Viele von Ihnen sehen sich als HadjiistInnen, SympathisantInnen des Tschetschenischen Mystikers und Pazifisten Kunta-Haji Kishiev, der im 19. Jahrhundert „brüderliche Liebe und gewaltlosen Widerstand“ predigte. Auch eine Moschee findet man im Tal. Dort treffen sich die BewohnerInnen zu gemeinschaftlichen Ritualen und Praktiken, die meist in Form von Tänzen und Gesängen Ausdruck finden.
Die amerikanische Regierung spekulierte, dass sich die Terrororganisation Al-Qaida in der Region organisierte. Auch Moskau störte sich an Pankisi, als Zufluchtsort so vieler TschetschenInnen
Seit den Tschetschenien-Kriegen in den 90er Jahren des 21. Jahrhunderts und den damit verbundenen erneuten Flüchtlingsströmen, kamen auch internationale Hilfsorganisationen in die Region und lenkten damit neue Aufmerksamkeit auf den malerischen Ort im Nord-Osten des durch Krieg und Separatismus geprägten Georgien.
Als zu Beginn der 2000er Jahre entführte ausländische Geiseln aus der georgischen Hauptstadt Tbilisi in Pankisi versteckt gehalten wurden und erst gegen Lösegeldzahlungen freikamen, wuchs der öffentliche Verdacht die Dörfer seien nunmehr nicht nur Zufluchtsort für Geflüchtete aus Tschetschenien, sondern auch Rückzugs- und Trainingsgebiet tschetschenischer Rebellen. Schnell kam damit auch die Vermutung auf, das Tal diene als wichtige Schmuggelroute für Waffen- und Drogenhandel und die Amerikanische Regierung spekulierte, dass sich die Terrororganisation Al-Qaida in der Region organisierte. Auch Moskau störte sich an Pankisi, als Zufluchtsort so vieler TschetschenInnen und so steht das Tal auch heute noch in Verruf, als „Tal des Terrors“, Brutstätte des „Islamischen Staats“ zu sein.
Nur selten finden daher Gäste ihren Weg in die Dörfer am Alazani-Fluss. Doch viele BewohnerInnen tun sich schwer mit diesem Image, teilen dieses Bild nicht. Auch die örtlichen Behörden winken ab, die religiöse Ausrichtung der Menschen dort sei friedlich. Vor allem die Pankisi-Frauen bemühen sich ihre Gemeinden wieder attraktiv für Besucher zu gestalten, sie wirtschaftlich zu stärken. Sie organisieren Kulturabende, betreiben Gasthäuser und Verkaufen traditionelle Filzarbeiten. Sie wollen die Vergangenheit hinter sich lassen und bemühen sich um die touristische Entwicklung ihrer Region. Durch ausländische Investitionen aus Japan oder Polen entstehen Ferienwohnungen und Wanderpfade.
So kommt langsam Veränderung in das 38 Kilometer lange Fluss-Gebiet, mit seinen bewaldeten Berghängen, den von Feigen-, Aprikosen- und Walnussbäumen bewachsenen Wiesen und den schneebedeckten Gipfeln des Kaukasus. „Marshua kavkaz“ tönt es immer wieder aus den Gesängen der Sufi-Frauen-Gruppen auf dem Platz vor der Moschee in Duisi, dem wichtigsten Ort der schmalen Region. Sie besingen den „Frieden im Kaukasus“. stop
Tim Brederecke, (*1993) ist zwischen dem Steinhuder Meer und Hannover aufgewachsen. Nach zwei Semestern Ingenieurwesen, entschloss er sich 2014 Fotografie in Dortmund zu studieren. Seitdem beschäftigt er sich in seinen freien Arbeiten hauptsächlich mit dokumentarisch/humanistischen Themen.
Maximilian Mann, (*1992) wuchs in Kassel auf. Während eines Freiwilligendienstes in Tansania wuchs sein Wunsch, Fotografie zu studieren. In seinen fotografischen Arbeiten beschäftigt er sich vor allem mit sozialen Randgruppen und Minderheiten in Osteuropa.
Noura Mahdhaoui (*1989 in Berlin) studierte Kulturwissenschaft und französische Philologie in Berlin und Paris. 2010 kam sie während ihres Studiums zum Journalismus. Sie ist seitdem für Print, mit Veröffentlichungen in der Wiener Zeitung, dem Gap-Magazin und der taz, und öffentlich-rechtliches Fernsehen in Frankreich und Deutschland tätig.