Verena Brandt

Superheroize Me!

Sie nennen sich Mr. Xtreme, Violet Valkyrie oder Midnight Highwayman: Auf den Straßen US-amerikanischer Großstädte kämpfen immer mehr Superhelden gegen soziale Ungerechtigkeit.
"Vortex" sammelt Spenden für das große jährliche "Project Hope". Er trägt seinen neuen Anzug, den er in China hat maßschneidern lassen. Allerdings, so stellt er jetzt fest, eignet sich der hautenge Latex-Anzug nur bedingt für den Sommer in San Diego: "Es ist erst 7 Uhr morgens und ich zerfließe schon förmlich". Mit jedem Schritt macht er schmatzende Geräusche.

Immer mehr Menschen in den USA legen sich ein Superhelden-Alter-Ego zu, um auf den Straßen gegen soziale Ungerechtigkeit zu kämpfen. Die meisten sind auf der Suche nach einer Bestimmung, das konventionelle Ehrenamt ist ihnen allerdings nicht aufregend genug. Deshalb schlüpfen sie in eine Verkleidung und werden zu „Heavy Hitter“, „Violet Valkyrie“ oder „Midnight Highwayman“.

Die Bandbreite ihres Engagements ist groß, sie reicht von der Essensausgabe und dem Sammeln von Spenden über kostenlose Selbstverteidigungskurse bis hin zu nächtlichen Patrouillen, um Obdachlose vor willkürlicher Gewalt zu schützen. Ihre Kostüme dienen dabei dem Schutz der eigenen Identität oder vor Messerstichen, vor allem sind sie aber eine öffentlichkeitswirksame Zugabe ihres sozialen Engagements.

Heavy Hitter ist Mitglied der Xtreme Justice League: "Ich war früher drogenabhängig", erzählt er. "Ich war zerfressen vor Wut auf diese Welt und Selbstmitleid. Ich wollte mich verändern. Jetzt lachen Kinder, wenn sie mich sehen, nennen mich "Banana Man". Und die Polizisten wollen mich nicht mehr festnehmen, sondern machen mit mir Selfies."
Zahlreiche Real-Life Superheroes aus den gesamten USA sind für das "Project Hope" zusammengekommen. Es findet immer parallel zur Comic Con in San Diego statt. Die Superhelden sind unterwegs, um Essen, Kleidung und Hygieneprodukte an Bedürftige zu verteilen.
Mr Xtreme hat vor über 10 Jahren die "Xtreme Justice League" gegründet. Wenn er nicht in einem seiner drei Jobs arbeitet, trägt er fast in seiner gesamten Freizeit sein Superhelden-Kostüm und setzt sich wo er nur kann für die Bedürftigen San Diegos ein.
Nyghtingale arbeitet im echten Leben als Krankenschwester und hat sich nach Florence Nightingale benannt, die als Begründerin der modernen Krankenpflege gilt. "Es ist das beste Gefühl zu wissen, dass man helfen kann und dass andere in der Gruppe dich wiederum schützen. Gut, das sogenannte 'cat calling' ist ziemlich nervig. 'Hey baby, you are hot!' und so. Aber das gehört wahrscheinlich einfach zum Job."
Osprey ist der Sohn von Nyghtingale und jüngstes Mitglied der Xtreme Justice League.
Crimson Fist und Mr. Xtreme während einer Sicherheitspatrouille im East Village von San Diego. Entlang der Straße leben viele Obdachlose in Zelten.
Doctor Mystery ist nach San Diego gekommen, um beim "Project Hope" mitzuhelfen.
Grim, 34, ist Veteran der US-Marine. Die Aufmerksamkeit, die er mit seinem Kostüm erzeugt, gefällt ihm nicht sonderlich. Doch obwohl er eine Totenkopfmaske trägt, lieben ihn die Kinder. Nach seiner Motivation gefragt, erklärt er: "Haben Sie schon mal das Sprichwort 'Lead, follow or get out of the way' gehört? Als ich gesehen habe, das Menschen, die nicht Cops oder Sanitäter sind, auf den Straßen unterwegs sind und versuchen zu helfen, dachte ich mir: Warum mache ich das eigentlich nicht? Ich muss das auch machen. Ganz einfach."
"Emerald Fael" arbeitet im "Green Team" der Xtreme Justice League, welches Fundraising Events organisiert und regelmäßig Essen an die Obdachlosen verteilt. Ihr Son "Rouroni" war ein Mitglied der "XJL", verstarb aber vor ein paar Jahren bei einem schweren Verkehrsunfall. Damals beschloss sie anstelle ihres Sohnes der Xtreme Justice League beizutreten: "Ich musste es einfach für Rouroni machen.", sagt sie.
Heavy Hitter (mit gelber Maske) und Vortex (mit grünem Helm) verteilen während des "Project Hope" Rucksäcke, u.a. gefüllt mit Socken, Wasser, Müsliriegeln und Deos, sowie gespendete Kleidung. Schon während sie den Stand aufbauen, werden sie umringt. Innerhalb von ein paar Minuten ist alles weg.
Crimson Fist ist vor einer Weile aus Atlanta nach Los Angeles gezogen. Ab und zu schließt er sich auch den Patrouillen der XJL an.
Midnight Highwayman hat eine Lichtallergie, daher hat er ein Kostüm entwickelt, welches seinen ganzen Körper bedeckt. Weil er gut reden kann, wurde er zu einer Art "Pressesprecher" der Xtreme Justice League und ist immer wieder im Gespräch mit der lokalen Polizei, um zu erklären, wer sie sind und was sie machen. Die Polizei äußert sich nicht offiziell dazu, aber sie würden die Arbeit der XJL unterstützen. "Solange ihr euch nicht bewaffnet, euch aus Gang-Gegenden raushaltet und euch nicht selbst in Gefahr bringt, wollen wir euch nicht aufhalten. Wir können Unterstützung gebrauchen.", sei ihnen vermittelt worden.

In ihrem Alltag arbeiten die sogenannten „Real Life Superheroes“ (RLSH) für Sicherheitsdienste, als Sozialarbeiter oder Lehrer, einige studieren. Die Gründe für ihr außergewöhnliches Ehrenamt sind verschieden: es geht um die Aufarbeitung von traumatischen Erlebnissen, manche fühlen sich von Hollywoodfilmen inspiriert. Die meisten jedoch suchen gesellschaftliche Anerkennung, wollen Gutes tun, etwas worauf sie stolz sein können. Als Superhelden erschaffen sie sich eine zweite Identität und werden Teil einer Gemeinschaft wie etwa die „Xtreme Justice League“ in San Diego.

Der "Hip Hop Trooper" ist für das "Project Hope" aus Los Angeles angereist. Er sei eigentlich kein "richtiger" Real-Life Superhero, sondern ein "CosPlayer". Er imitiere ja nur einen "Storm Trooper" aus Star Wars. Als Real-Life Superhero musst du dir hingegen deine ganz eigene, einzigartige Superhelden-Identität schaffen. Mit seiner lauten Boombox voller Oldschool-Hiphop-Hits sorgt er für eine fast ausgelassene Stimmung unter den Obdachlosen.
Crimson Fist und Mr. Xtreme während einer nächtlichen Sicherheitspatrouille im East Village von San Diego. Auf dem Gehweg schlafen Obdachlose. Die Stadt im Süden Kaliforniens ist mit 1,4 Mio. Einwohnern die achtgrößte der USA, in etwa so groß wie München.
Vortex neben seinem "Super Mobile" Auto: schnell rein und die Klimaanlage anschmeißen. Sein maßgeschneidertes Latex-Kostüm ist einfach zu warm.
Nightbug ist Mitbegründer der "California Initiative".
San Diego hat laut den Superhelden die viertgrößte Obdachlosenpopulation der USA. Ganze Straßenzüge voller Zelte und anderer provisorischer Notunterkünfte sind im Zentrum (East Village) nichts Ungewöhnliches.
Light Fist wurde bereits mit 17 Mitglied der XJL. Damals musste er sich noch heimlich aus dem Haus schleichen, um an den nächtlichen Patrouillen teilzunehmen. "Das war die beste Zeit meines Lebens," schmunzelt er.
Crimson Fist und Osprey verteilen selbstgemachte Burritos während des "Project Hope". Osprey ist der Sohn von Nyghtingale und das jüngste Mitglied der Xtreme Justice League. Er hat sich selbst gewünscht, mithelfen zu dürfen. Neben Nyghtingale und Osprey sind auch die weiteren Familienmitglieder Nyght und Yce aktiv in der Xtreme Justice League. Crimson Fist patroulliert normalerweise in Los Angeles, springt aber auch gelegentlich in San Diego ein.
Auch Superhelden brauchen mal eine Pause: Mr Xtreme gönnt sich einen Hot Dog im Gaslamp District.
Violet Valkyrie ist Teilzeitstudentin und arbeitet zusätzlich in einer Einrichtung für psychisch Erkrankte. Mitglied in der Xtreme Justice League zu sein, sei für sie "die coolste Sache überhaupt!". Sie schätzt die "philantropische Arbeit und das Spiel mit der zweiten Persönlichkeit."
Lighfist (links) und Grim warten vor der "Hall of Justice" auf die anderen Mitglieder der Xtreme Justice League. Sie wollen in dieser Nacht gemeinsam in Downtown auf Patrouille gehen.

Verena Brandt hat für ihr Fotoprojekt zwei Gruppen der Real Life Superheroes an der US-amerikanischen Westküste begleitet und portraitiert. Die Kostüme und ihr Auftreten mögen schräg, vielleicht lächerlich und ihre Aktionen mitunter überflüssig erscheinen. Doch in den US-Großstädten wird das Engagement von Mr. Xtreme und Co. größtenteils dankbar angenommen. Und auch wenn einige womöglich vor allem die öffentliche Aufmerksamkeit suchen: Der Kampf der Superhelden für eine gerechtere Welt ist wirklich ernst gemeint.

Mr Xtreme auf Patrouille: "Ich denke es geht vor allem um Beständigkeit. So oft es geht raus auf die Straße, Aufmerksamkeit erregen, als gutes Beispiel vorangehen. Zu zeigen, dass einem nicht alles scheißegal ist. Sonst würde das ganze keinen Sinn machen. Aber um ehrlich zu sein, ich weiß auch nicht wie lange ich noch weitermachen kann. Das ist alles schon recht viel."

Verena Brandt (*1978) hat Kommunikationsdesign mit Schwerpunkt Photographie an der HAW Hamburg studiert. Seitdem widmet sie sich als freie Fotografin eigenen Projekten und Auftragsarbeiten. Ihre Arbeiten wurden bereits in zahlreichen Magazinen publiziert, international ausgestellt und mit wichtigen Preisen ausgezeichnet. Sie ist Mitglied der Agentur Visum und pendelt zwischen Berlin und Hamburg.

www.verenabrandt.de